Köln/NRW. Seit den ersten strukturellen Ansätzen für Rettungsdienste aus der Zeit Napoleons hat sich so einiges geändert. Wenngleich die professionelle Hilfe für medizinische Notfälle aller Art durch Rettungsfachpersonal auch erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch Behörden gefördert und für die Öffentlichkeit immer selbstverständlicher wurde, scheinen wir jetzt einen Punkt erreicht zu haben, an dem viele Menschen bedenkenlos schlicht für jedwedes Problem einen Notruf absetzen. „Es wählen Leute die 112, die berichten, dass es familiäre Probleme gibt oder rufen an, wenn ihr Hausarzt nicht kommt“, weiß der Rettungsdienstleiter der Malteser Landes- und Regionalgeschäftsstelle NRW, Ralf Bischoni. Der 53-jährige Notfallsanitäter und langjährige Leiter einer Rettungsdienstschule sowie Lehrbuch-Mitautor und Mitbegründer verschiedener Fachgesellschaften sieht die Gründe für die derzeitige Überlastung des Systems im Bereich Rettungsdienst in unterschiedlichen Ursachen: Zum einen habe sich die Kultur in Deutschland massiv verändert. „Früher hat man den Rettungsdienst nur im lebensbedrohlichen Notfall hinzugezogen, heutzutage ist es gesellschaftlich en vogue, ihn recht schnell zu rufen. Jeder, der einen Rettungswagen anfordert, hat wahrscheinlich ein Anliegen, allerdings ist immer häufiger fraglich, ob der Rettungsdienst dafür der richtige Ansprechpartner ist“, sagt Bischoni. Wenn Menschen beispielsweise psychische Probleme oder Alltagssorgen hätten, müssten andere Anlaufstellen kontaktiert werden, beziehungsweise für derartige Hilfeersuchen Schnittstellen zu psychosozialen und weiteren Diensten geschaffen werden.
Entscheidendstes Problem: Zu wenig Ausbildungsplätze im Rettungsdienst
Ein weiterer Punkt sei aber vor allem entscheidend: „Es gibt viel zu wenig Ausbildungsplätze und das muss sich sehr dringend ändern“, konstatiert der Experte. Hilfsorganisationen, wie die Malteser, die deutschlandweit mehr als 300 Rettungswachen betreiben, werden von den Trägern der Rettungsdienste, den Kreisen oder kreisfreien Städten, mit dem Rettungsdienst beauftragt. Mit Ausnahme weniger Träger, die eine ausreichende Zahl an Ausbildungsplätzen in ihre Bedarfspläne aufgenommen hätten, täte sich ein großer Teil innerhalb NRWs sehr schwer damit, den Organisationen, welche die außerklinische Akutversorgung umsetzen, genügend Ausbildungsplätze zuzugestehen, sagt Bischoni. In vielen Rettungsdienstbereichen habe sich der Bedarf an Rettungsmitteln in den letzten Jahren fast verdoppelt. Die Tatsache, dass in zahlreichen Rettungsdienstbedarfsplänen die Menge an Auszubildenen nicht anforderungsgerecht definiert werde, sei leider nicht von der Hand zu weisen.
Durchschnittliche Verbleibzeit im Rettungsdienst nur sieben Jahre
„Wenn man bei einem Träger beispielsweise davon ausgeht, dass man zehn Ausbildungsplätze benötigt, weil man glaubt, dass diese Azubis ihren Abschluss machen und fortan allesamt 25 Jahre dort im Job bleiben, lässt dies etwas unberücksichtigt: Die durchschnittliche berufliche Verbleibzeit der Leute, abzüglich jener Azubis, die wir nach der Ausbildung trotz Bemühung ohnehin nicht halten können, liegt gerade mal bei sieben Jahren, wie die Realität zeigt“, weiß der Rettungsdienstleiter. Bei Frauen liege die Zeit durch Familienphasen sogar noch deutlich darunter. Dass die Zahl der Notfalleinsätze exorbitant steige, sei ein Fakt. Deshalb liegt für Bischoni auf der Hand, dass jetzt schnell reagiert werden muss. „Wenn ich heute schon weiß, dass es sich um einen signifikanten Anstieg handelt und klar ist, dass ich jetzt zehn Rettungswagen habe, ist folgerichtig, dass ich in weiteren fünf Jahren wohl noch deutlich mehr Rettungswagen brauchen werde. Doch woher sollen die Leute kommen, die sie besetzen?“ Soweit sie nicht vom Himmel fielen, müsse man sie nun mal ausbilden“, fügt der Fachmann sachlich hinzu.
Rund 170.000 Euro kostet eine Ausbildungsplatz
Rund 170.000 Euro koste umgerechnet ein Ausbildungsplatz mit den zugehörigen Nebenkosten für die Praxisanleitung, Bekleidung etc.. Diese könnten nicht aus Eigenmitteln der Hilfsorganisationen gestemmt werden. Insoweit müssten die Träger in Abstimmung mit den Krankenkassen, bei welchen sie die Summen gegenfinanzieren lassen können, ausreichende Ausbildungszahlen definieren. Nur so könne sichergestellt werden, den Herausforderungen der Zeit überhaupt noch gerecht zu werden. Darüber hinaus plädiert Bischoni auch für unterschiedliche Hilfsangebote neben dem Rettungsdienst. „Es muss Offerten wie aufsuchende Hilfe und aufzusuchende Hilfe im Sinne von Versorgungseinrichtungen geben, auf die die Menschen hingewiesen werden können, um den Rettungsdienst nicht zu überlasten.“ Außerdem sei wichtig, Mechanismen zu schaffen, die ermöglichten fallabschließend zu arbeiten. „Liegen keine echten Notfälle vor, verlagern wir die Katastrophe ansonsten nur von der Straße ins Krankenhaus, wenn wir sie dorthin transportieren und die Notaufnahmen verstopfen“, erläutert er den derzeitigen Prozess. Konkret dazu bemühen sich die Malteser mit den weiteren Hilfsorganisationen und anderen Partnern im Rettungsdienst darum, das System zu optimieren.
Mögliche Lösungsansätze
„Es macht keinen Sinn, hinter jeden Baumstamm einen Rettungswagen zu stellen, so Bischoni. Dies ist weder finanzier- noch realisierbar, und auch die klinischen Infrastrukturen könnten den daraus resultierenden Patientenansturm nicht bewältigen. Innovative Ansätze über das von Seiten der Malteser mitentwickelte System des Gemeindenotfallsanitäters, eine stärkere Einbindung von Fahrzeugen des Krankentransportes in niederschwellige Notfalleinsätze, wie der sogenannte „Notfall-KTW“ und Vernetzungen der Systeme bereits auf Dispositions- ,also Leitstellenebene, werden ebenfalls unterstützt und durch die Malteser mit Expertise in den Fachgremien mit- sowie weiterentwickelt. Der Ansatz sei hier, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, also dem Mehrbedarf durch Expansion der Ausbildungsplätze begegnen und parallel dazu Systeme so weiterzuentwickeln, dass der Rettungsmittelbedarf nicht ins Uferlose steigt. In jedem Fall sei jetzt schnelles Handeln erforderlich, damit das System nicht schon in Kürze kollabiere.